Kein Geheimverfahren: Streit zwischen Polizeigewerkschaften wieder offen!
Paukenschlag aus Karlsruhe! Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat eine Eilentscheidung aus Berlin korrigiert – weil sie gegen die Verfassung verstößt (Beschl. v. 03.06.2020, Az.: 1 BvR 1246/20)!
Was war passiert? Anfang März bekam auch die Bundespolizei die Folgen der Corona-Pandemie zu spüren. Die Bundespolizeigewerkschaften standen nun vor der Frage, wie sie deshalb mit den für Mitte Mai anstehenden bundesweiten Wahlen zum Personalrat umgehen – denn die sollten grundsätzlich vor Ort durchgeführt werden. Mitte März einigte man sich daher auf die Möglichkeit der Briefwahl. Nachdem sich die Corona-Krise aber verschlimmerte, wollten zwei Gewerkschaften die Wahl verschieben und beriefen sich hierzu u.a. auf die pandemiebedingten weltweiten außerordentlichen Belastungen für die Angehörigen der Bundespolizei. Der Hauptwahlvorstand lehnte eine Verschiebung jedoch ab; dies sei rechtlich gar nicht möglich. Diese Entscheidung nahm die von HÖCKER vertretene „DPolG Bundespolizeigewerkschaft“ zum Anlass zur Kritik und bezeichnete den Vorstand darin als „GdP-geführt“, da zwei der drei Mitglieder des Vorstands Mitglieder der GdP BP sind.
Diesen Flyer nahm nun wiederum die GdP BP zum Anlass, die „DPolG Bundespolizeigewerkschaft“ unter dem 17.04.2020 anwaltlich abzumahnen, da sie die Bezeichnung als „GdP-geführt“ verhindern wollte. Die abgemahnte Gewerkschaft antwortete pünktlich am 20.04.2020 und wies alle Ansprüche zurück. Zudem reichte sie vorbeugend eine sog. „Schutzschrift“ ein. Die GdP BP richtete nun unter dem 22.04.2020 einen Verbotsantrag an das Landgericht (LG) Berlin. Dabei legte sie dem Gericht auch die Abmahnungserwiderung vor. Was dann geschah ist unklar – unter dem 24.04.2020 schrieb die GdP BP dem LG Berlin allerdings erneut und erklärte bzw. rechtfertigte ihr bisheriges Vorbringen. Doch damit nicht genug – sie stellte nun erstmals sog. „Hilfsanträge“, die sich auf mehrere, ganz andere Textstellen des Flyers bezogen. Wenn „GdP-geführt“ schon nicht verboten werden könne, sollten also zumindest andere Textstellen untersagt werden. Damit erzielte die GdP BP auch einen Teilsieg: Am 30.04.2020 wies das LG Berlin (Az.: 27 O 169/20) zwar den Antrag zu „GdP-geführt“ zurück, gab aber den neuen Hilfsanträgen statt.
Was war nun das Problem? Die „DPolG Bundespolizeigewerkschaft“ erfuhr von diesen Vorgängen (und v.a. von den neuen Hilfsanträgen und dem Verbot) erst als letztes – nämlich als ihr die GdP BP das gerichtliche Verbot übermittelte. Sie hatte also gar keine Gelegenheit, sich vor Gericht zu diesen neuen Anträgen zu äußern – und das, nachdem das BVerfG erst im September 2018 gleich in zwei Entscheidungen derartige „Geheimverfahren“ als verfassungswidrig bezeichnet hatte (vgl. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2018/bvg18-078.html): Kommt es nach Einreichung des Antrags zu relevanten Veränderungen, muss das Gericht dies dem Antragsgegner nämlich mitteilen und auch ihm ermöglichen, sich vor (!) der Entscheidung hierzu zu äußern.
Die „DPolG Bundespolizeigewerkschaft“ reagierte prompt und legte gegen die Entscheidung des LG Berlin Rechtsbehelfe ein. Doch damit nicht genug – wegen des erkannten Verfassungsverstoßes reichte sie unter dem 28.05.2020 auch eine Verfassungsbeschwerde ein – verbunden mit einem entsprechenden Eilantrag.
Das Bundesverfassungsgericht folgte nun der Argumentation von HÖCKER, stellte eine erhebliche Rechtsverletzung fest und setzte die Wirksamkeit des Verbots „bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache oder bis zu einer erneuten Entscheidung des Landgerichts, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten“, aus.
Zur Begründung heißt es in der Entscheidung des BVerfG:
„(…) Eine Einbeziehung des Beschwerdeführers durch das Gericht vor Erlass der Verfügung wäre somit offensichtlich geboten gewesen. Eine solche Frist zur Stellungnahme hätte auch kurz bemessen sein können. Unzulässig ist es jedoch, wegen solcher Verzögerungen gänzlich von einer Einbeziehung der Gegenseite abzusehen und sie stattdessen bis zum Zeitpunkt der auf Widerspruch hin anberaumten mündlichen Verhandlung mit einem einseitig erstrittenen gerichtlichen Unterlassungstitel zu belasten. (…) Die Außervollzugsetzung der verfahrenswidrig zustande gekommenen Entscheidung gibt dem Landgericht Berlin Gelegenheit, bei einer neuerlichen Entscheidung beide Seiten einzubeziehen und deren Vortrag zu berücksichtigen. (…)“
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. Das LG Berlin muss nun erneut entscheiden. Der Ausgang des Verfahrens ist völlig offen – die „DPolG Bundespolizeigewerkschaft“ hat jetzt jedenfalls umfassend zu den Hilfsanträgen vorgetragen.
Rechtsanwalt Dr. Christian Conrad:
„Geheimverfahren sind verfassungswidrig! Das hat das BVerfG nun erneut mit deutlichen Worten bestätigt und diesen damit endgültig den Riegel vorgeschoben!“