Essay
Pressefreiheit ist nicht gleich Narrenfreiheit!
Verfasser
Dr. Carsten Brennecke
Position
Partner
Stand
August 2021
01.
Intro
Eine Handvoll Mandanten
Alles fing an in einem kleinen Einraumbüro am Hansaring, direkt am Eigelstein, Kölns erste Adresse für Fixer und Freier. Ralf Höcker und ich saßen uns gegenüber in einem kleinen Büro, unsere Kartei bestand aus einer Handvoll Mandanten, noch weniger gemieteten Möbeln und einer Auszubildenden.
Dabei hätte ich es so viel besser haben können. 2005 hatte ich zahlreiche Vorstellungsgespräche in Großkanzleien und Rechtsabteilungen führender deutscher Unternehmen. Ich hätte überall anfangen können, zu astronomischen Einstiegsgehältern. Stattdessen sagte ich überall ab. Ich wollte mein eigener Chef sein und vor allem wollte ich mir nicht sagen lassen, wie „man“ Presserecht macht. Ich wusste, dass diese juristische Nische mehr zu bieten hatte, als presserechtliche Warnschreiben an den großen Verteiler zu verschicken.
Ein Bekannter riet mir, ich solle mich mal mit Ralf Höcker unterhalten. Der habe sich gerade im Presserecht selbständig gemacht und das könne gut zusammenpassen. Das war einer der besten Tipps, die ich je bekommen habe.
02.
Ziel
Nummer Eins im Presserecht
Presserecht fand damals in Hamburg und Berlin statt, nicht in Köln und wurde von großen Platzhirschen beherrscht, deren Namen heute längst keine Bedeutung mehr haben. Genau mit diesen Platzhirschen wollten wir es damals aufnehmen. Denn unser Ziel war, die deutsche Nummer Eins im Presserecht zu werden.
Unser einziges Aushängeschild war Heidi Klum, das deutsche Topmodell und unsere erste berühmte Mandantin. Mit ihr gingen wir auf eine wilde Reise durch alle Facetten des Presserechts: Dauerclinch mit den großen deutschen Boulevardzeitschriften im Kampf gegen Paparazzifotos von Heidi und ihren Kindern, sowie Beratung bei millionenschweren Werbeverträgen.
Und Heidi Klum sollte nicht der einzige große Name bleiben.
03.
Der Fall Kachelmann
Über den Angriff verteidigen.
Im März 2010 klingelte das Telefon in der Kanzlei, am anderen Ende war unser Mandant, Jörg Kachelmann. Die Polizei hatte ihn gerade am Frankfurter Flughafen festgenommen. Der Vorwurf, Vergewaltigung seiner Geliebten. Knapp 24 Stunden zuvor stand er noch in Kanada bei den olympischen Winterspielen vor der Kamera und moderierte das Wetter.
Jetzt klickten die Handschellen und er saß in Untersuchungshaft. Eigentlich gilt für Beschuldigte die Unschuldsvermutung, doch das war Bild und Bunte herzlich egal. Eine beispiellose Pressekampagne brach über den ehemals gefeierten Wettermoderator herein, die über ein Jahr lang dauern sollte. In dieser Zeit gab es weit über hundert Falschberichte, unzulässige Verdächtigungen und rechtswidrige Eingriffe in jeden erdenklichen Bereich seiner Intimsphäre. Selbst beim Freigang im Gefängnishof war Kachelmann vor Fotografen der Boulevardpresse nicht sicher. Diese hatten sich extra eine Hochhauswohnung angemietet, um Kachelmann wie Freiwild abzuschießen. Jede dieser Rechtsverletzungen haben wir gerichtlich verbieten lassen. Wir selbst wurden sogar Zielscheibe, indem uns unzählige Emails mit Beleidigungen und Anfeindungen erreichten. Die Hexenjagd auf Jörg Kachelmann sprang auf uns über. Wir ließen uns von diesem Gegenwind nicht beirren. Im Gegenteil, wir waren schon damals davon überzeugt, dass in einem Rechtsstaat kein Mensch Presserechtsverletzungen hinnehmen muss, egal, was ihm vorgeworfen wird. Am Ende war es nichts als eine vorgetäuschte Vergewaltigung einer Geliebten von Kachelmann. Noch heute behauptet Alice Schwarzer unbelehrbar, Kachelmann sei ein Vergewaltiger. Auch das lassen wir immer wieder gerichtlich verbieten. Die Bilanz für Jörg Kachelmann: 130 Tage in Untersuchungshaft, ein kaum wiedergutzumachender Rufmord und eine von uns erstrittene Entschädigungszahlung der Bild Zeitung von über 500.000 Euro inkl. Zinsen.
Spätestens jetzt kannte jeder die Kanzlei Höcker aus Köln. Wir setzten neue Maßstäbe mit unserer Art zu arbeiten: Über den Angriff verteidigen.
04.
Das Potenzial der Nische
Herausforderung Internet
Wir hatten gelernt Grenzen zu verschieben und wurden Zeugen von neuen Grenzverschiebungen, besorgniserregenden Grenzverschiebungen, und die fanden statt im Netz. Verleumdungen gab es plötzlich nicht mehr nur in den klassischen Presseberichten, sondern in anonym betriebenen Blogs und in Google-Suchergebnissen.
Ein neues Feld, das viele unterschätzten, wir aber hatten das richtige Gespür: Ein vermeintlich rechtsfreier Raum brauchte Grenzen. Das Potenzial der Nische! Wir ließen falsche Suchergebnisse verbieten und legten verleumderische Webseiten auch aus dem Ausland still. Doch das Netz hatte noch mehr zu bieten, Stichwort Bewertungsportale, die wie Pilze aus dem Boden schossen und mit ihnen anonyme falsche Einträge. Ob Restaurants, große Unternehmen oder Ärzte, sie alle fürchteten um ihr Image und ihren Ruf, und wir sorgten juristisch für Ruhe. Mit Musterverfahren, wie das wegweisende Jameda-Urteil, wenn es sein musste auch bis zum Bundesgerichtshof. Das Geschäftsmodell der Bewertungsportale haben wir damit auf den Kopf gestellt und unsere Mandanten wieder auf die Beine.
An der Kanzlei Höcker kam niemand mehr vorbei, wenn es um juristischen Angriffsfußball ging.
05.
Gegenwind
Mutig oder verrückt?
Natürlich gab es auch Diskussionen darüber, wen wir verteidigen. Recep Tayyp Erdogan, der türkische Staatspräsident, war zum Beispiel auch unser Mandant.
Ihn haben wir z.B. gegen den Hollywood-Regisseur Uwe Boll verteidigt, der Erdogan unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit mit einer Reihe unflätiger Beleidigungen überzog und ihm den Tod wünschte. Das Landgericht Köln bestätigte unsere Rechtsauffassung, dass auch umstrittenste Persönlichkeiten, die gleichen Rechte haben. Sämtliche Äußerungen Bolls wurden auf unseren Antrag hin gerichtlich verboten. Seitdem darf bei vielen Journalisten in Berichten über die Kanzlei Höcker der Zusatz „…die auch schon Erdogan vertreten haben“ nicht fehlen. Natürlich macht sich eine Kanzlei, die die Presse in ihre Schranken weist, nicht nur Freunde. Schließlich sind wir schon gegen jeden nennenswerten deutschen Verlag erfolgreich vorgegangen.
Seit 2017 vertreten wir Politiker der „Alternative für Deutschland“, kurz AfD, sowie die Partei selbst gegen Rechtsverletzungen der Presse. Zuvor und bis heute haben wir Politiker aller anderen im Bundestag vertretenden Parteien gegen Falschberichterstattung verteidigt. Das verlief meistens geräuschlos in der Außenwahrnehmung.
Als wir aber auch den Politikern der AfD zu ihrem Recht verhalfen, war der Aufschrei groß und er ist es bis heute. Mit Gegenwind kannten wir uns zwar aus, aber was dann folgte, war beispiellos. Wir bekamen Morddrohungen, unser Eingang wurde mit Hakenkreuzen beschmiert und Demonstranten verschafften sich Zugang bis vor unsere Kanzleitür. Keine andere presserechtliche Kanzlei hätte es gewagt, dieses Mandat zu übernehmen. Sind wir deshalb mutig oder verrückt? Weder noch, wir sind Juristen! Wir machen uns nicht mit der Sache unserer Mandanten gemein, sondern mit der Idee des Rechtsstaats, nach der alle Menschen gleiche Rechte haben. Oft müssen wir uns erklären, wieso wir neben Politikern aller anderen großen Parteien auch einige der AfD verteidigen. Ganz einfach: Wir sind der Meinung, dass ein Rechtsstaat nur existiert, wenn alle Menschen die gleichen Rechte haben. Niemand muss Falschberichterstattung hinnehmen, egal, welche Ansicht er oder sie vertritt.
06.
Wahrheit
Das Recht auf juristischen Beistand
Natürlich waren wir uns bewusst, dass die politische Ausrichtung der AfD umstritten ist. Recht knüpft aber nicht daran an, dass man die „richtige“ Meinung vertritt oder das „richtige“ tut. Selbst ein Mörder hat Anspruch auf Rechtsbeistand und eine wahrheitsgemäße Berichterstattung.
Denn was passiert, wenn sich der Wind in der Gesellschaft dreht? Wenn plötzlich die Mehrheitsgesellschaft den linken Rand in der Politik für inakzeptabel hält? Haben deren Politiker dann auch kein Recht auf unseren juristischen Beistand mehr? Wer bestimmt, dass es manche nicht verdienen, gegen Falschberichterstattung verteidigt zu werden? Wir stehen für eine liberale und pluralistische Gesellschaft ein. So verschieden wie unsere Gesellschaft ist, sind auch unsere Mandanten.
07.
Heute
Größte Presserechtskanzlei Deutschlands
Die Kanzlei Höcker hat es geschafft, sie ist seit einiger Zeit die größte Presserechtskanzlei in Deutschland. Die alten Platzhirsche haben ausgedient und wir, wo stehen wir heute?
Keine leichte Frage, denn ginge es nach unserem ursprünglich gesetzten Ziel, die größte Presserechtskanzlei Deutschlands zu werden, so sind wir angekommen. Ich bin immer noch mein eigener Chef und presserechtliche Warnschreiben sind immer noch nicht unser Kerngeschäft. Und wir sind uns immer treu geblieben. Bis heute vertreten wir nur diejenigen, die von Falschberichterstattung betroffen sind. Viele Verlage wollten, dass wir sie vertreten, das haben wir stets abgelehnt. Unser Herz schlug schon immer mehr für David als für Goliath.
08.
Morgen
Doch was sind die nächsten Ziele? Was ist Höcker morgen?
Uns wurden im Laufe der Jahre schon viele Titel verliehen: Wir waren die Heidi-Klum-Kanzlei, wir waren die Anwälte eines angeblichen Vergewaltigers, der am Ende keiner war, wir waren die Retter der Ärzte gegen Jameda, wir waren die, die Diktatoren vertreten, wir waren angeblich rechts und wir waren die Anwälte, die Journalisten bedrohen. Tatsächlich waren und sind wir viel mehr:
Wir sind schwul, lesbisch und hetero, wir sind Grün, Rot, Schwarz oder parteilos, wir sind Christen, Moslems und Juden, wir sind weiblich und männlich, wir sind groß und klein, sportlich und bequem, wir sind laut und wir sind leise. Wir sind neugierig und werden uns das bewahren, denn damit verschieben wir Grenzen und setzen neue Maßstäbe.
Wir sind Höcker und sehr erfolgreich, weil wir anders sind und anders bleiben.