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Bundestag und Schuldenbremse: “Hurra wir leben noch” – oder?!

Medien berichten, dass der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, noch vor Konstituierung des neuen Bundestags das Grundgesetz mit Stimmen der (ehemaligen) Ampel ändern will. Aber dürfte er das rechtlich überhaupt?

Bis heute kann ich es mir bildlich vorstellen: Ich als Steppke auf dem Rücksitz der “Ente”, meine Mutter fährt – und aus dem Autoradio dröhnt die unverwechselbare Stimme von Milva: “Hurra, wir leben noch / Was mussten wir nicht alles übersteh’n? / Und leben noch…

Aktuell wird diskutiert, ob das nun auch für die alten bzw. bisherigen Abgeordneten (natürlich jedweden Geschlechts!) des 20. Deutschen Bundestags gilt, der von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Ende des vergangenen Jahres aufgelöst wurde. Bevor der am 23. Februar 2025 gewählte 21. Deutsche Bundestag zusammentritt, will man noch rasch das Grundgesetz ändern, um die sog. Schuldenbremse bzw. das Sondervermögen für die Bundeswehr zu reformieren. Denn hierfür braucht man eine 2/3-Mehrheit (vgl. Artikel 79 Abs. 2 GG) – und die sieht man künftig v.a. wegen der Sitze der LINKEN und der AfD in Gefahr.

Aber ist das rechtlich überhaupt möglich?

Ja, die abgewählten Abgeordneten dürften natürlich noch tätig werden. Sie sind bzw. bleiben nämlich bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages im Amt. Artikel 39 Abs. 1 S. 2 GG normiert insofern, dass die Wahlperiode des (alten) Bundestags erst “mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages” endet. Es gibt also (auch im Fall einer insoweit sprachlich leicht misssverständlichen “Auflösung” des Bundestages) keine parlamentslose Zeit, was in der rechtswissenschaftlichen Literatur wie folgt beschrieben wird:

  • Bis zum Beginn der neuen Wahlperiode stehen dem alten Bundestag daher noch die vollen Rechte der Volksvertretung zu; er kann insbesondere noch vollgültige Beschlüsse fassen” (BeckOK GG/Brocker, 59. Ed., 15.9.2024, GG, Art. 39 Rn. 10)
  • Trotz Auflösung des Bundestages endet dessen Wahlperiode erst mit dem Zusammentritt des neu gewählten Bundestages (vgl. Art. 39 Abs. 1 S. 2). Es gibt damit seit einer Verfassungsänderung im Jahre 1976 (vgl. Art. 39) keine parlamentslose Zeit mehr” (BeckOK GG/Pieper, 59. Ed., 15.9.2024, GG, Art. 68 Rn. 16)
  • Der alte Bundestag bleibt so lange im Amt, bis der neue Bundestag sich konstituiert hat. Er ist rechtlich in diesem Zeitraum in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht beschränkt, da seine Legitimation erst mit dem Zusammentritt des neu gewählten Bundestages endet. Er unterliegt nach der Neuwahl auch keinem Gebot der Zurückhaltung. Ihm stehen bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages alle verfassungsrechtlichen Parlamentsrechte zu.” (Groh/v.Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 39 Rdnr. 12)

Rechtlich könnte und dürfte der alte, aufgelöste Bundestag also tatsächlich noch das Grundgesetz ändern. Ob das auch politisch opportun wäre, mag man indes ggf. frei nach dem schon zum Meme gewordenen Satz der “Polizei Mittelfranken” aus Coronazeiten beurteilen: “Rechtlich dürfen Sie es, ob dies auch richtig ist müssen Sie selbst entscheiden.